Tom Werneck weiß. „Ohne Spiel säßen wir noch auf den Bäumen …“
Nichts geht ohne Spiel
Wo wäre der Mensch ohne Spiel? „Sich spielerisch auszuprobieren und dann zu entscheiden etwas zu machen, ist etwas Normales. Wir säßen noch heute auf Bäumen, hätten nicht irgendwelche Vorfahren begonnen zu spielen, denn spielerisch hat irgendwann jemand unserer Urahnen einen Knochen geworfen und festgestellt, dass er ein Werkzeug ist.“, sagt Tom Werneck, Gründer und Leiter des Archivs sowie Mitbegründer und ehemaliges Mitglied der „Spiel des Jahres“-Jury. „Ich glaube, Menschen sollen nicht spielen, sondern sie spielen von selbst. Sie bauchen das. Alleine wenn sich Wissenschaftler oder Politiker zu einem sehr schwierigen Problem zusammensetzen, sagen sie: „Lass uns das mal durchspielen“. Es ist also auch in unserem Sprachgebrauch verankert.“
Publikumsmagnet
Es ist „Tag der offenen Archive“. Der Spielexperte steht im Kellerwölbe des Bayerischen Spielearchivs Haar an der Casinostraße vor langen Reihen mit scheinbar unzähligen Brettspielen, die sich vom Boden bis zur Decke stapeln. „Wir hatten hier heute fünf oder sechs Gruppen parallel da, es war wirklich „knalleknackevoll“, so viele Menschen sehen wir hier sonst nicht im Archiv“, zeigt sich Werneck angesichts des Ansturms begeistert. „Offenbar ist das Interesse groß. Darüber sind wir froh, denn wir wollen unsere Sammlung ja zeigen. Wir wollen das auch der Gemeinde zurückspiegeln, die uns die Räume zur Verfügung stellen.“
Ein Quell Für Forschende
Die Sammlung befindet sich auf der Liste zur Förderung von Brettspielen des Bayerischen Staatsministeriums für Finanzen und Heimat. „Diese Institution ist ausgezeichnet als beispielgebend für immaterielles Kulturgut“, erklärt Werneck. Wie wichtig sie sei, zeige auch die Anwesenheit von immerhin fünf Doktoranten im vergangenen Jahr. „Zu den Spielen haben wir mit 4600 Bänden die größte Fachbibliothek der Welt. Da wir hochspezialisiert sind, befinden sich darunter Bücher, nach denen würde sich die Bayerische Nationalbibliothek die Finger abschlecken, beispielsweise Sonderdrucke. Das ist ein Alleinherstellungsmerkmal, daher muss Haar nachdenken, wie das zu erhalten ist“, stellt Werneck fest.
Nicht wegschmeißen
Jedes Jahr erhält Werneck zwischen 600 und 800 Neuspiele. Dazu gesellen sich viele weitere, insbesondere nach Eventtagen. „Da fällt nicht wenigen ein, dass sie noch so ein „altes, zerschlissenes Ding“ auf dem Speicher liegen haben. Die geben es dann uns. Denn die Enkel verticken das für fünf Euro bei ebay.“, Werneck und sein Team heben die Spiele auf, analysieren und setzen sie schließlich in den Kontext. „Die sind auch wertvoll für uns, weil wir dann entscheiden können“, urteilt Werneck und gibt einen Einblick: „Das fängt damit an herauszufinden, ob wir das Spiel haben. Wenn es sich in der Sammlung befindet, vergleichen wir, ob es sich um dieselbe Version oder eine andere handelt. Bei Übereinstimmung vergleichen wir den Erhaltungsgrat und die Vollständigkeit und ergänzen gegebenenfalls, wenn Dinge fehlen.“ Obwohl sich die Regalbretter im Archiv beinahe biegen, kann jeder das in den Untiefen eines Dachbodenschranks wiedergefundene, längst vergessene Familienspiel dort abgeben.
Bewährte Entscheidungshilfe
Wer sich dann ein neues zulegen möchte, muss sich im undurchsichtigen Wald der Neuerscheinungen zurechtfinden. Selbst für eingefleischte Zockernaturen ist das nicht einfach. Hier weiß Werneck Rat: „Ich kann blind auf das „Spiel des Jahres“ verweisen.“ Der Filter sei deshalb so gut, weil jeder Juror versuche sein Lieblingsspiel durchzubringen. „Deshalb mäkelt er an allem, was die anderen vorschlagen und nimmt die Konkurrenten bis ins letzte Detail unter die Lupe. So lernen die Juroren die Schwächen der anderen Spiele kennen. Es ist ein wahrhafter Prüfstand.“ Aus diesem „Prozess der Reibung“ entstehe schließlich das Bewusstsein ein bestimmtes Spiel empfehlen zu können, weil es sich durchgesetzt habe. „Es ist nicht das beste Spiel. Man kann ja auch nicht sagen: „Goethe ist besser als Schiller“, es ist die Wahl der Kritiker“, betont Werneck.
Ein besonderer Schatz
Über den wieder wachsenden Erfolg der Spieleveranstaltungen in Haar freut sich Warneck sehr: „Der Bedarf und das Vergnügen ist da. Die Leute können sich ein, wenn man so will, ein mundgerechtes Spiel aus rund 200, die wir dabeihaben, heraussuchen.“ Es ist eine überschaubare Zahl im Vergleich zu den rund 25.000 Spielen m Archiv, die vom schier unerschöpflichen Ideenreichtum seiner Erfinder zeugen. Sogar das Corona-Spiel von 1974, der unverbesserliche Trump oder die kommunistische UDSSR-Ausgabe des kapitalistischsten aller Spiele „Monopoly“ liegen in den Regalen. Tatsächlich benötige das Archiv inzwischen dringend mehr Platz, so Werneck: „Welche Institution in Haar ist denn sonst noch auf der Liste zur Förderung immateriellen Kulturguts? In München gibt es tatsächlich keine. Wir sind eine der größten Spielsammlungen der Welt, das ist ein ordentliches Pfund, mit dem wir umgehen können. Es ist eine Institution, die eine Außenwirkung für die Gemeinde hat.“
„Sich spielerisch auszuprobieren und dann zu entscheiden etwas zu machen, ist etwas Normales. Wir säßen noch heute auf Bäumen, hätten nicht irgendwelche Vorfahren begonnen zu spielen, denn spielerisch hat irgendwann jemand unserer Urahnen einen Knochen geworfen und festgestellt, dass er ein Werkzeug ist.“
„Ich glaube, Menschen sollen nicht spielen, sondern sie spielen von selbst. Sie bauchen das. Alleine wenn sich Wissenschaftler oder Politiker zu einem sehr schwierigen Problem zusammensetzen, sagen sie: „Lass uns das mal durchspielen“. Es ist also auch in unserem Sprachgebrauch verankert.“
„Es ist nicht das beste Spiel. Man kann ja auch nicht sagen: „Goethe ist besser als Schiller“, es ist die Wahl der Kritiker“
Tom Werneck, Gründer und Archivleiter, Mitbegründer und ehemaliges Mitglied „Spiel des Jahres“-Jury.
Für Sie berichtete Manuela Praxl.