Bayerisches Spiele-Archiv Haar auf der „Best Practice“-Liste der UNESCO

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Tom Werneck, Leiter des Spiele-Archivs Haar, das jetzt auf der „Best-Practice“-Liste der UNESCO steht

Von Corona bis Trump – alles im Keller

Es sind ein paar Stufen hinab in ein niedriges Kellergewölbe. Hinter einer dicken Stahltür verbirgt sich eine Schatzkammer für Spieler. Rund 25.000 Spiele und etwa 3.700 Bände Fachliteratur sind Zeugen von schier unerschöpflichem Ideenreichtum seiner Erfinder. Sogar das Corona-Spiel von 1974, der unverbesserliche Trump oder die kommunistische UDSSR-Ausgabe des kapitalistischsten aller Spiele „Monopoly“ liegen in den Regalen. Wer das Ziel hat, dort „das Spiel der Spiele“ zu finden, kann am Ende nur kapitulieren: „Es gibt keinen absoluten Tipp, was man gespielt haben muss. Es verhält sich wie mit dem Essen. Muss es ein Apfelstrudel, Chateau Briand oder Ossobuco gewesen sein?“, sagt Tom Werneck, Leiter des Bayerischen Spiele-Archivs Haar. „Alles, was der Mensch tut, spiegelt sich im Spiel, deshalb ist die Zahl und Spielform unendlich. Es kommt darauf an, wie viel Zeit ich habe, mit wem ich spiele, wie viele Spieler dabei sind.“

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Spiele ohne Limit

Werneck, Mitbegründer der „Spiel des Jahres“-Jury, vergleicht Spiele gerne mit Kochen. Die Anzahl der Grundzutaten und Gewürze sei definiert und nicht vermehrbar: „Trotzdem gibt es jeden Tag neue geschmackliche Varianten und Nuancen, weil jeden Tag anders komponiert wird.“ Ob es dabei 12, 14 oder 16 Archetypen, also Urformen, von Spielen gibt, wie eine Spielfigur zu überspringen und damit zu schlagen (Schach) oder stehenzubleiben (Halma), Karten offen oder verdeckt zu tauschen, ist unter Wissenschaftler ein strittiger Punkt. „Ein Projekt im Bereich „künstliche Intelligenz“ hat unendlich viele Spielregeln durch den Computer gejagt und festgestellt, dass die Zahl der Archetypen seit 7.000 Jahren mehr oder weniger konstant geblieben ist“, erklärt der Experte. „Erst 1984 kam mit Tetris ein neuer Archetypus dazu. Die Uhr, die aufs Tausendstel genau geht, kann ich nicht hintergehen. Das gab es vorher nicht und kam erst mit der Computerisierung.“ Allerdings prophezeit der Mitinitiator der „Spielwiesn“ in München noch in diesem Jahrhundert mindestens zwei neue Urformen durch das „exponentielle Wachstum menschlichen Wissens“.

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Erkennbare Handschriften

Der Spielekritiker, der jahrelang Kolumnen in der „Zeit“ und „Frankfurter Rundschau“ schreibt, beschäftigt sich spielerisch mit fast allen der 600 bis 800 Neuerscheinungen pro Jahr: „Aber ein Monopoly linksherum muss ich nicht gespielt haben, genauso wenig ein Mensch-ärgere-dich-nicht mit fünf statt mit vier Figuren. Es gibt viele Spiele, da mache ich die Schachtel auf und weiß: „Das Ding kenne ich“, weil ein halbes Jahrhundert Erfahrung dahinter steckt.“ Genauso weiß er schnell, wer der Urheber eines neuen Spiels ist: „Das hat Parallelen in der Literatur. Wenn ich Böll gelesen habe und dann Grass in die Hand nehme, ist mir das vollkommen klar, dass es nicht Böll ist, selbst wenn ich nicht weiß, wer der Autor ist.“

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Rund 25.000 Spiele und etwa 3.700 Bände Fachliteratur befinden sich im Kellergewölbe des Bayerischen Spielearchivs Haar

Ein gutes Spiel

Tom Werneck wächst in der Nachkriegszeit in Garmisch-Partenkirchen auf, fährt schon als kleiner Bub Ski, klettert auf Bäume und die Berge, rangelt mit anderen Jungen und verrät: „Brettspiele kannten wir eigentlich überhaupt nicht, sondern haben das gemacht, was man halt so macht, wenn man dort aufwächst. Wir haben „Cowboy und Indianer“ gespielt.“ Irgendwann aber spart der kleine Junge seine 10 Pfennig des wöchentlichen Taschengelds für ein Monopoly, das stolze vier Mark kostet: „Es war von Hand gezeichnet, hat mich aber schnell gelangweilt“, gibt der Autor zu. Bis heute mag er das Spiel nicht: „Du kannst so intelligent sein, wie du willst: Wenn du die falschen Karten hast, wirst du ärmer und ärmer und kannst nichts dagegen tun. Das ist furchtbar ungerecht. Warum sollte man etwas machen, das in Frustration und oft in Tränen endet?“ Genauso reizlos sind für Werneck zotige Spiele und, für viele vielleicht überraschend, Schach: „Es lässt genau das, was das Spielen ausmacht, nicht zu. Ich kann mein Gegenüber nicht ansprechen, weil es in seiner Konzentration für den nächsten Spielzug nachdenken muss. Ich muss still dasitzen, obwohl ich gerne reden oder rumblödeln würde. Irgendwann bin ich selbst dran und reagiere genauso. Hier frage ich mich, wo da das Spiel ist? Das ist Arbeit. Wenn die Kommunikation, die Freude, das Lachen fehlen, ist es für mich kein gutes Spiel.“

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Weltkulturerbe

Seit kurzem steht das Archiv auf der Best Practice-Liste der UNESCO „zur Erhaltung des Immateriellen Kulturguts“. Wenn es nach Werneck und seinen „Mitspielern“ geht, soll es ganz auf die Liste des Weltkulturerbes: „Die Fragen der UNESCO zu beantworten, machen den Antrag extrem schwierig, wir saßen schon beim ersten wochenlang dort. Wir wollen ihn Ende Oktober einreichen, die Kommission hat dann zwei Jahre Zeit, bis sie sich entscheidet“, erklärt Tom Werneck, der am Ende seiner arbeitsintensiven Tage gerne eine Runde Rummikub mit seiner Frau spielt.

Für Sie berichtete Manuela Praxl.

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