Ritter, Marktfrauen, knappen und Edle tummeln sich auf dem Mittelalterfest zu Haar.
Von Hexen, Rittern und ein Mäuseroulette
Unerbittlich brennt die Sonne am letzten Maiwochenende vom Himmel auf die Zeltstadt zu Haar. Nicht wenige hochwillkommene Zeitreisende reiben sich verwundert die Augen und staunen, sobald sie das magische Tor in eine andere Welt hinter sich gelassen haben. Wer sich zum Kampfplatz begibt, sieht eine zierliche Mädchengestalt, die in Kampfmontur kühn und abwägend, das Kinn trotzig emporgerichtet, ihren Gegner visieren. Beinahe tänzelnd umkreist sie die mächtige Erscheinung des Edelmannes unter den johlenden Anfeuerungsrufen des gemeinen Gesindes, das sich um die Austragungsstätte versammelt hat. Diesen Rückwärtsdreh am Rad der Zeit in die Welt des finsteren Mittelalters ermöglichen in Haar Martin und Sandra Angermeier. „Es hat sich irgendwann einmal so ergeben, weil wir eine andere Veranstaltung nicht machen konnten. Wir sind selbst Mittelalter-Fans. Das ist über die letzten 25 Jahre entstanden, wir sind in die Szene einfach reingerutscht. Mich hat die Stimmung fasziniert“, sagt Martin Angermeier, der selbst überall in der Lagerstätte anpackt. „Aufbaubeginn des Lagers ist meist Mittwoch früh, Freitag sind wir dann fertig, die Händler haben ihre Stände dabei.“
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Einstweilen verdunkelt auf dem Kampfplatz noch immer der gewaltige Schatten eines hünenhaften Adligen das zarte Antlitz der entschlossenen Frau. Sie erinnert an eine Johanna von Orleans, die sich furchtlos mit dem übermächtigen Gegner anlegt. Entsprechend ist im Gelände kein Gewand aus kostbaren gewebten Stoffen gefragt, vielmehr gilt der Dresscode: schwere Kombination aus Leder und Kettenhemd, um die Schläge des Gegners möglichst unbeschadet zu überstehen. Jeder Muskel ihres Körpers scheint bereit zum Angriff, selbstredend auch mit den Waffen einer Frau. Ganz offenbar gilt die Devise: „Wer die Wahl zwischen Herd und Ehre und Ruhm im Kampf hat, greift zum Schwert!“ Dennoch geht die Tapfere geschlagen, ohne wehenden Fahnen, vom Platz. Ihr Kontrahent macht nach etwas Geplänkel kurzen Prozess und legt sie vor aller Augen flach: So sieht Verliebtsein im Mittelalter aus.
Weg vom groben Saufgelage hin zum familientauglichen Ritterspektakel
Wer es etwas ungefährlicher mag, kann sich in der Lagerstadt umsehen. Sorgfältig drapiert, zieren Ritterhelme, Kräuter oder auch das gemeine Hausskelett im abgesteckten Vorgarten ordentlicher Zelte. Sogar das kuschelige Fell liegt ordentlich über dem Reisebett-Monstrum. In der Luft hängt der Duft von gegrilltem Fleisch und Brot. Trotz Hitze herrscht emsiges Treiben. Überall verarbeiten Handwerker ihre Materialien, Marktfrauen und Männer bieten ihre bunten Waren an oder lassen den Tag einen lieben langen sein. Das handbetriebene Karussell dreht mit fröhlich-lachenden Kindern seine Runden zu den mittelalterlichen Klängen, die von der Bühne herüberschallen, während zahlreiche Besucher ihren letzten Heller beim Mäuseroulette setzen „Es ist wirklich gut gelaufen“, resümiert Martin Angermeier und sieht eine Trendwende Anno Domini MMXXIV: „Wir schauen, dass wir immer etwas Neues dabeihaben, beziehungsweise durchwechseln. Vor allem, weil wir sehen, dass das Publikum anders wird. Weg vom Alkohol-konsumierenden Publikum hin zum Family-Event. Es sind unheimlich viele Familien hier. Das privat finanzierte Event ist inzwischen wirklich entspannt und so hatten wir uns das auch ursprünglich gedacht.“ Das Spiel mit den Welten und die Neugier auf das Leben einer längst vergangenen Zeit, begeistert in jedem Alter: Authentizität ist nebensächlich, was zählt ist die pure Freude am Spiel.
Für Sie berichtete Manuela Praxl.
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