Nach fast 10 Jahren hat Albert Fierlbeck die Leitung der Beratungsstelle Haar von DONUM VITAE in Bayern e.V. am 01.04.2023 an seine Nachfolgerin, Brigitte Henrici, übergeben. Albert Fierlbeck zieht sich nun nicht in den wohlverdienten Ruhestand zurück, sondern bleibt der Beratungsstelle als Berater erhalten. Brigitte Henrici ist ausgebildete Sozialpädagogin. Sie war viele Jahre in der Behindertenarbeit tätig, hat für die Familienberatungsstelle Ismaning sexualpädagogischen Unterricht gehalten und organisiert und zuletzt in der Schulsozialarbeit bei der Landeshauptstadt München gearbeitet. Frau Henrici freut sich auf die neue Herausforderung als Leiterin der Beratungsstelle Haar und die vielfältigen Aufgaben der Schwangerschaftsberatung, in die sie ihre bisherigen Berufserfahrungen gut einbringen kann.
Im Rahmen des Pressegesprächs Anfang Mai stellte Albert Fierlbeck den Tätigkeitsbericht 2022 vor. Die Zahl der Beratungen fiel von 804 im Jahr 2021 auf 644 im Jahr 2022, was daran lag, dass eine Berater*innenstelle trotz intensiver Personalsuche das ganze Jahr über nicht besetzt werden konnte. 235 Beratungen betrafen die allgemeine Schwangerschaftsberatung, 202 die nachgehende Beratung, nach Geburt, 23 Pränataldiagnostik und 45 Kinderwunschberatung/Präimplantationsdiagnostik. In zehn Fällen wurde bei Fehlgeburt, Totgeburt oder frühem Verlust beraten. Trotz der knappen personellen Ressourcen wurden 6 Klassen mit insgesamt 110 Schülern sexualpädagogisch unterrichtet. 34 Frauen und Männer suchten Rat in der Elternsprechstunde, teilweise mehrmals. In 101 Fällen wurde in Schwangerschaftskonfliktfällen beraten, das sind rd. 15,7% der gesamten Beratungen.
Damit leitete Albert Fierlbeck auch zum diesjährigen Schwerpunktthema des Pressegesprächs, der Reform des § 218 StGB, über. Derzeit ist ein Schwangerschaftsabbruch in Deutschland straffrei, wenn die Schwangere sich durch eine staatlich anerkannte Schwangerschaftsberatungsstelle beraten lässt und dies durch die Bescheinigung gemäß § 219 StGB dokumentiert wird. Seit der Empfängnis dürfen nicht mehr als 12 Wochen vergangen sein, zwischen Beratung und dem Abbruch sind 3 Tage verstrichen und der Abbruch wird von einem qualifizierten Arzt durchgeführt.
Der Beratung durch eine staatlich anerkannte Schwangerenberatungsstelle kommt dabei eine zentrale Rolle zu. Sie soll durch Rat und Hilfe dazu beitragen, die in Zusammenhang mit der Schwangerschaft bestehende Konfliktlage zu bewältigen und einer Notlage abzuhelfen. DONUM VITAE verfolgt bei der Schwangerschaftskonfliktberatung das Prinzip der „doppelten Anwaltschaft“.
Das bedeutet, dass im Beratungsgespräch sowohl das Selbstbestimmungsrecht der Frau als auch das Lebensrecht des ungeborenen Kindes thematisiert werden. Das Ziel der ergebnisoffenen Beratung ist, dass die schwangere Frau eine informierte und für sie gut verantwortbare Entscheidung treffen kann. Die Beratung ist kostenlos, sie soll ermutigen und Verständnis wecken, weder belehren noch bevormunden. Durch die vertrauensschaffende Atmosphäre können Themen besprochen werden, bei denen die Klientin sonst kein Gehör findet. Dadurch ist es erst möglich, ihr Hilfestellungen in diesen Bereichen aufzuzeigen, wie beispielsweise weitergehende Beratung bei Paarkonflikten.
Im Rahmen der derzeitigen Diskussion über die Reform des § 218 StGB wird vielfach die Abschaffung der Beratung gefordert, da sie als Voraussetzung für einen straffreien Schwangerschaftsabbruch eine „Pflichtberatung“ ist. DONUM VITAE spricht sich dagegen für die Beibehaltung der Beratung aus, da mit ihr alle Bevölkerungsschichten erreicht werden; es sich um ein professionelles kostenloses Angebot für Frauen (und ggfs. für Männer) handelt, eine wirksame Anwaltschaft für Mutter und Kind erfolgt und die Frau nicht alleine gelassen wird. Die Erfahrungen der Berater:innen legen nahe, dass selbst Frauen, die nicht freiwillig zur Beratung gekommen wären, die Beratung idR als Unterstützung empfinden.
Reformbedarf sieht DONUM VITAE in Haar allerdings im Rahmen der Umsetzung des § 218 StGB, d.h. in den Fällen, in denen eine Frau sich für einen Schwangerschaftsabbruch entschieden hat. Hier sollten zufriedenstellende Möglichkeiten bestehen, den Abbruch durchzuführen. Dies ist derzeit, insbesondere im ländlichen Raum, aufgrund fehlender Ärzte nicht der Fall. Der Schwangerschaftsabbruch ist kein Bestandsteil der ärztlichen Ausbildung, auch nicht der gynäkologischen. Viele Krankenhäuser, besonders in kirchlicher oder kommunaler Trägerschaft, lehnen es ab, Schwangerschaftsabbrüche vorzunehmen. Es wird davon ausgegangen, dass bei Gynäkolog:innen und Krankenkassen Listen mit den Adressen von Ärzt:innen, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen, vorliegen. In der Praxis ist dies häufig nicht der Fall. Dann kann die Adressliste nur persönlich beim Gesundheitsamt abgeholt werden; sie wird weder verschickt noch telefonisch weitergegeben.
Die Liste der Bundesärztekammer ist sehr unvollständig, da sich viele Ärzt:innen aus Angst vor Protesten nicht eintragen lassen. Schließlich muss die Frau die Kosten für den Schwangerschaftsabbruch, die bis zu 700 € betragen können, selbst tragen, wenn sie nicht bedürftig ist (also mehr als 1.325 € verdient). In all diesen Punkten sieht DONUM VITAE in Haar Änderungs- und Verbesserungsbedarf.
Zum Schluss des Pressegesprächs wies Albert Fierlbeck darauf hin, dass der nächste Informationsabend für werdende Eltern online am 23.05.2023, von 18 bis 20 Uhr stattfindet. Die stellvertretende Leiterin, Claudia Nasahl, lud für den 25.05.2023, 17.30 Uhr zu einer Gedenkfeier für Sternenkinder (vor, während oder nach der Geburt verstorbene Kinder) auf dem Waldfriedhof Haar ein, die in Kooperation mit der katholischen und evangelischen Kirche gestaltet wird.
Artikel und Foto: HE